Creative Hub

"Der Glaube, dass Kunst und Kultur Probleme lösen können, ist weit verbreitet."

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 —  Story

Im Auftrag der Stadt Bern hat die HKB die Studie «Empfehlungen für eine Berner Strategie für die Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft» verfasst. Die HKB Zeitung trifft sich mit drei Repräsentantinnen zum Austausch über Zustand und Potenzial der Kultur- und Kreativwirtschaft: Ein Roundtable mit Franziska Burkhardt (Leiterin Kultur Stadt Bern), Silvia Hofer (Geschäftsführerin Progr Bern) und Regula Staub (Geschäftsführerin Creative Hub).

Die Beschäftigung mit Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) zeigt, dass allein der Begriff sehr unklar ist. Was bedeutet Kultur- und Kreativwirtschaft?

Regula Staub: Die Definition ist sehr weit gefasst, es fallen viele verschiedene Branchen und Tätigkeitsfelder unter das Begriffspaar. Aber etwas verbindet die Tätigkeiten und die Branchen. Die Leistungen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind nämlich sowohl für die Gesellschaft als auch für die Wirtschaft von grosser Bedeutung. Jedoch scheint von der Wirtschaft bis heute zu wenig anerkannt zu werden, welchen Mehrwert die KKW der klassischen Wirtschaft bietet. Die Kulturwirtschaft hat einen stärkeren Fokus auf die intellektuelle Verarbeitung gesellschaftlicher Themen, etwa in Form von Theater, Literatur oder Film, die auch der Unterhaltung dienen. Die Kreativwirtschaft beschäftigt sich mehr damit, Dienstleistungen und Produkte für die Gesellschaft zu erbringen.

Franziska Burkhardt: Ich kann mich gut den Erläuterungen von Regula anschliessen und die Kulturwirtschaft in der intellektuellen Auseinandersetzung verorten, während die Kreativwirtschaft das Stattfinden der Kultur überhaupt ermöglicht. Die Arbeit im Theater oder für ein Festival umfasst ja immer auch zum Beispiel Grafik und Technik. Daher ist es schwierig, die beiden Bereiche klar abzugrenzen, denn das eine bedingt eben auch das andere.

Silvia Hofer: Ich vermisse beim Wort «Wirtschaft» im Zusammenhang mit Kultur und Kreativität den nicht monetären Mehrwert der Bereiche für die Gesellschaft. Die Bedeutung von Kunst und Kultur für die Gesellschaft ist nicht rein finanziell fassbar, denn sie geht weit über die Dienstleistungen und Paybacks der klassischen Wirtschaft hinaus. Ich erlebe im Selbstverständnis eine Abgrenzung der Tätigkeitsfelder. Viele Akteur*innen aus der Kreativwirtschaft verstehen sich stärker als Dienstleistungssektor. Natürlich machen auch sie freie Arbeiten, aber sie überlegen eher, was die Kund*innen möchten. 

 

Im Design gibt es klarere Berufsfelder als in anderen Bereichen. Das Selbstverständnis beginnt bereits in der Ausbildung: Lehre und Studium als Grafiker*in sind auf eine Berufsbefähigung ausgerichtet und spezifischer als etwa die freie Kunst.

RS: Kunst und Design ist gemein, dass eine Leidenschaft zur Tätigkeit im Vordergrund steht und erst in einem zweiten Schritt ein gewinnorientierter Ansporn dazukommt. Diese intrinsische Motivation wird von vielen Menschen in der KKW geteilt, aber eben auch die Probleme, die nicht zuletzt dadurch entstehen.

FB: Leidenschaft finde ich in diesem Zusammenhang einen schwierigen Ausdruck. Er befördert ein Cliché und impliziert indirekt auch, dass andere Berufsfelder ohne Leidenschaft auskommen. In der KKW sprechen wir von einem grossen Spektrum an Berufsgattungen. Diese gehen von Angestellten in grossen Institutionen bis hin zu Freischaffenden. Die Leidenschaft mag dabei ein Stichwort sein, aber auch die Kreation und das Schöpferische verbinden die beiden.

RS: Dieses schöpferische Arbeiten konfrontiert die Gesellschaft mit diversen Themen und bietet auch Zukunftsmodelle oder eben Produkte und Dienstleistungen, die auf die Zukunft ausgerichtet sind und die sich mit Problemen der heutigen Zeit auseinander- setzen können. 

 

Welche Aspekte, Schwachstellen und Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft wurden durch die Pandemie verstärkt beleuchtet?

FB: Am Anfang der Pandemie haben sich die Menschen vor allem dank der Kultur noch wohlfühlen können. Zu Hause im Lockdown haben wir Filme geschaut, Bücher gelesen und Musik gehört. Gerade eine Pandemie zeigt, wie wichtig die Arbeit der KKW ist. Jedoch hat sich auch gezeigt, wie fragil unser gesamtwirtschaftliches System ist. Diese Fragilität ist nicht nur der KKW anhaftend, sie hat jedoch eine grosse Lücke in der sozialen Sicherheit. Wir wissen zwar schon länger, dass die Akteur*innen der KKW durch die Maschen der Sozialversicherungen und der Vorsorge fallen, die Pandemie hat es aber noch einmal dramatisch aufgezeigt.

RS: Viele Kultur- und Kreativschaffende arbeiten projektspezifisch. Durch Corona wurde sichtbar, wie prekär diese Arbeitsweise ist,
wenn etwa die Planungssicherheit verloren geht. Da die sozialen Einrichtungen nicht auf diese Arbeitsprozesse der KKW ausgelegt sind, trifft eine Pandemie viele Kultur- und Kreativschaffende besonders stark.

SH: Leider greifen auch viele der kurzfristigen sozialen Massnahmen während der Pandemie nicht. So haben viele Akteur*innen keinen Zugang zu Taggeldern, da sich ihr Gehalt patchworkartig zusammensetzt. Viele arbeiten etwa in tiefprozentigen Anstellungsverhältnissen, sind daneben freischaffend und leben von kurzfristigen Projektarbeiten. Die Verwaltungen waren damit überfordert. So gibt es etwa Musiker*innen, die pro Tag nur eine Lohnausfallentschädigung von 20 Franken erhielten. Es wurde in der Pandemie auch schnell klar, dass die Kultur- und Kreativszenen eine viel zu kleine Lobby haben. Es zeichnet sich aber auch ab, dass sich dies durch Corona ändern wird, denn es braucht dringend Lösungen für die soziale Absicherung der KKW.

FB: Um die Ansprüche und die unterschiedlichen Funktionsweisen bei den sozialen Versicherungen geltend machen zu können, gilt es, den Berufsstand der KKW zu stärken. Darum ist die Kampagne «Kultur ist mein Beruf» der Taskforce Culture entstanden. Dieses Anliegen ist auch auf der politischen Ebene angekommen und die Diskussion muss nach der Pandemie dringend weitergeführt wer- den. Die strukturellen Probleme der sozialen Sicherheit können nicht durch die Förderung behoben werden. Die Förderung kann aber einen Beitrag an die berufliche Vorsorge leis- ten. Die Stadt Bern leistet bei geförderten Projekten einen Beitrag an die dritte Säule, sofern die Kulturschaffenden ihrerseits einzahlen. Leider wird diese Möglichkeit heute kaum in Anspruch genommen. Wir hoffen, dass sich das durch die Pandemie ändert.

 

Die Pandemie hat die Wichtigkeit der KKW für die Gesellschaft aufgezeigt. Was sind die Potenziale der KKW und wie können diese in Zukunft noch besser genutzt werden?

FB: Ich glaube nicht, dass dies eine neue Erkenntnis ist. Kultur wird von der öffentlichen Hand seit Jahrzehnten mit Millionen unterstützt. Das macht man nicht, weil man die KKW als einen unwichtigen Wirtschaftszweig empfindet. Es gibt diesen gesellschaft lichen Konsens: Kultur ist wichtig, sie ist nicht selbsttragend und wird darum gefördert.

SH: Durch die Pandemie ist die KKW sichtbarer geworden, das liegt einerseits an den neuen Verbänden, an der Taskforce Culture, die auf die prekäre Situation für die Kultur hinweisen konnten, aber vielleicht auch daran, dass die Menschen im Lockdown mehr Zeit für Kultur hatten. Der Nutzen der Kultur war im Grunde aber schon vor der Pandemie klar und ich glaube kaum, dass die breite Bevölkerung durch die gegenwärtige Situation der KKW eine neue oder andere Bedeutung zuschreibt.

FB: Ein Berufsstand für Kultur- und Kreativ-schaffende würde das Verständnis stärken, dass die KWW einen wichtigen Teil der Berufswelt darstellt und eine wichtige Arbeit für die Gesellschaft ist. Dabei muss man sich aber auch fragen, von welcher Gesellschaft wir eigentlich reden. Mit Kultur kann man nie alle erreichen, denn sie ist so divers wie die Gesellschaft selbst.

RS: Ich hoffe schon, dass die Bevölkerung schätzen gelernt hat, was die KKW leistet und anbietet. Es wäre in Zukunft sicher wichtig, die Annäherung von Kultur und Kreativszenen an weitere Wirtschaftsbranchen zu fördern, sei dies durch den Bund, den Kanton oder die Stadt. Dabei kann man dies durchaus als Investition verstehen.

FB: Es ist auch gefährlich, die KKW zu instrumentalisieren. Der Glaube daran, dass Kunst und Kultur Probleme lösen können, ist weitverbreitet. Die Kunstfreiheit sollte dabei aber immer noch an erster Stelle stehen.

 

Über 12 000 Personen arbeiten in der Berner Kultur- und Kreativwirtschaft (Vollzeitäquivalent). Wie geht es der Kultur-
und Kreativwirtschaft in der Schweiz und in Bern?

FB: Die geförderten Institutionen in der Schweiz sind gut abgesichert. Sie erhielten weiterhin Subventionen und konnten zusätz- liche Massnahmen wie Kurzarbeit und Ausfallentschädigung in Anspruch nehmen. Bei den selbstständigen und den freischaffenden Akteur*innen sieht es anders aus. Viele fallen durch alle Maschen der Hilfs- und Absicherungsnetze.

RS: Auch die Berner Klein- und Einzelunternehmen im Design leiden sehr. Im Gegensatz zur Kultur fehlen in diesen Bereichen oft die Formate für den Austausch untereinander. Leider ist die Kreativwirtschaft schlechter vernetzt als die Kultur. Dort wäre es wichtig, Austauschgefässe zu schaffen, die auch gefördert werden sollten.

 

Die Interessengruppe Kreativwirtschaft hat im März 2020 eine Strukturdatenumfrage erstellt, die zeigt, dass auch die Design- wirtschaft von den gleichen oder ähnlichen Problemen wie die Kultur betroffen ist. Viele haben ein Patchwork-Arbeitsumfeld in dem sie selbstständig und projektbezogen arbeiten, und/oder befinden sich in tiefprozentigen Anstellungsverhältnissen. Diese Patchwork-Struktur überfordert die Sozialversicherungen. 

FB: Es darf nicht erwartet werden, dass alle Probleme durch die Kulturförderung aufgefangen werden können. Kultur- und Wirt- schaftsförderung müssen klar voneinander abgegrenzt werden.

SH: Kulturförderung darf nicht auch die Wirtschaftsförderung übernehmen. Die Kreativwirtschaft ist vermehrt erwerbswirtschaftlich aufgestellt und müsste durch die Wirtschaftsförderung besser unterstützt werden. Auch wenn die Kulturförderung indirekt Kreativ- schaffende wie Grafiker*innen oder Lichttechniker*innen mitträgt, darf es nicht die Aufgabe der Kultur sein, die Förderung der Kreativwirtschaft zu stemmen, denn die Mit- tel sind begrenzt und würden sonst in anderen Sparten fehlen. Anderes Beispiel: Das Wirtschaftsamt macht bei den Vermieter*innen keinen Unterschied: Egal ob der Immobilienbesitzer eine Versicherung oder eben eine Stiftung aus der Kultur ist – wenn der Vermieter den Mieter*innen keine Mietreduktion gewähren kann, haben sie auch keinen Anspruch auf Mietzinshilfe der Stadt Bern.

RS: Der Creative Hub war ein Pionierprojekt, das von Engagement Migros für eine beschränkte Zeit gefördert wurde. Wir versuchten, als Anschlussfinanzierung Wirtschaftsförderungen anzugehen und gleichzeitig auch Kulturämter. Im Idealfall hätten sich sowohl die Kultur als auch die Wirtschaft beteiligt, da es ein Projekt ist, das eine Schnittstelle zu beiden Bereichen herstellt. Der Creative Hub schuf verschiedene Formate, die die Wirtschaft sowie die Kultur- und Kreativbranche näher zusammenrücken liessen. Diese Formate waren auch durchaus beliebt, da es oftmals wenig oder keine Berührungspunkte gibt. Auch kommt das wirtschaftliche Denken in vielen Kunst- und Kreativausbildungen zu kurz, weswegen der Creative Hub versuchte, diese Lücke zu- mindest teilweise zu schliessen. Es hat sich aber gezeigt, dass es eine Tendenz dazu gibt, solche Projekte dem einen oder anderen Förderbereich zuschreiben zu wollen. Dadurch fallen solche Projekte oft durch die Maschen der verschiedenen Fördermöglichkeiten.

FB: Für mich ist ein solches Projekt wie der Creative Hub ganz klar der Wirtschaftsförderung zuzuweisen, da es ja ein ausgewiese- nes Ziel ist, Ideen zur Marktreife zu bringen. Jedoch fehlt es wohl nach wie vor an einem Verständnis für die Wichtigkeit und Wirkungsweise der Kultur- und Kreativwirtschaft.


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